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Karl Steinbach, der Onkel von Kriminaloberkommissar Ernst Kellers Assistentin Herta ›Engelchen‹ Engel wird erpresst. Der Erpresser droht, den alten und gerade wiedereröffneten Eisenbahntunnel in Deisel in die Luft zu jagen. Er will damit verhindern, dass der von Steinbach geleitete Verein ‚Museumsbahn Carlsbahn‹ eine Reaktivierung der alten Strecke zwischen Carlshaven und Hümme vorantreibt. Die ersten Tatverdächtigen sind schnell gefunden – der ehrgeizige Stellvertreter Steinbachs im Museumsbahnverein und ein missgünstiger Nachbar. Nach einer aufwendigen Spurensuche und einigen falschen Fährten kommt es schließlich zum Showdown im alten Bahnwärterhäuschen direkt am Tunnel.
Leseprobe
03. Oktober 2014 – Tag der Deutschen Einheit
»Abbruch! Sofort!«
Kriminaloberkommissar Ernst Keller schrie in sein Funkgerät. Er hoffte, dass Scholz, der Leiter des Sondereinsatzkommandos, ihn überhaupt noch hörte. Die vereinbarte Funkstille hatte bereits vor einer Minute begonnen. Keller wusste, dass sich die Männer in diesem Augenblick um das alte Bahnwärterhäuschen verteilten und einige schon auf das kleine Vordach geklettert waren. Im nächsten Moment würden sie das Fenster vollständig einschlagen – es war ja bereits kaputt – und einen Flashbang, eine Blendgranate, hineinwerfen. Keller hatte die Zeichen lange nicht erkannt. Nach diesem Anruf wusste er jedoch, dass ›Knille Werner‹ im nächsten Moment – wie eine Biene im Todeskampf ihren Stachel einsetzt – einen Sprengsatz zünden würde. Dieser würde nicht nur den Beamten am Fenster, sondern auch noch weitere Kollegen in den Tod reißen.
Der Sprengstoffexperte Hermann Türmer hatte Keller nur wenige Sekunden zuvor darüber informiert, dass ›Knille Werner‹ nicht nur jahrelang als Sprengmeister bei einem norddeutschen Abbruchunternehmen gearbeitet hat. Wesentlicher war noch, dass er dort eine nicht unerhebliche Mengen eines Spezialsprengstoffs gestohlen hat. Eine auf Anraten der Polizei durchgeführte Überprüfung der Geschäftsunterlagen hatte ergeben, dass die entsprechenden Sprengberichte einschließlich der verbrauchten Sprengstoffmengen frisiert wurden.
›Knille Werner‹ hatte dann später, in den 90er Jahren, fünf Jahre wegen eines Sprengstoffanschlags auf die Garage seines Nachbarn im Gefängnis gesessen. Dieser Nachbar hatte immer vor dessen Haustür geparkt, ebenso seine zahlreichen Gäste. Irgendwann hatte ›Knille‹ die Nase voll und hatte das Problem ein für alle Mal und auf seine Weise gelöst. Noch in der Gerichtsverhandlung war er der Ansicht gewesen, dass der Nachbar durch sein Eingreifen eine exzellente Gelegenheit bekommen hatte, sich eine größere Garage zu bauen. Dass das kleine Mädchen, das just in diesem Moment mit ihrer Mama im Auto vorbeifuhr, verletzt wurde, war für ihn nicht mehr als ein Kollateralschaden. Auch dass das Kind durch umherfliegende Splitter sein rechtes Auge verloren hatte, schien ihn nicht weiter zu interessieren. Keller konnte nicht nachvollziehen, warum dieser Mann nicht zeitlebens in die Sicherungsverwahrung gesteckt wurde. Trotz intensiver Bemühungen wurde damals jedoch kein weiterer Sprengstoff gefunden.
Keller hatte eine lange Schrecksekunde, als er die Einzelheiten erfahren hatte. Doch noch war es nicht zu spät, noch konnte er seine Kollegen retten. Das hoffte er zumindest. Die Totenstille wurde nur von dem lauten Gurren mehrerer Tauben gestört. Doch dann gab es einen infernalischen Knall, eine der Tauben flog erschrocken auf und trudelte nach dem Zusammenstoß mit einem dicken Ast direkt neben Keller zu Boden.
21. September – zwölf Tage zuvor
Überraschender Einsatz
Jemand klingelte in Kassel an einer Wohnungstür Sturm.
Als Kriminaloberkommissar Ernst Keller aufstand, hörte er das leise Röcheln der neben ihm unruhig schlafenden Angelika. Gestern hatten sie es endlich wieder einmal geschafft, zusammen in die Oper zu gehen. Es gab den Liebestrank von Donizetti, eine Oper, die ihm ausnahmsweise einmal gut gefallen hatte. Sie war nicht so traurig wie die anderen Bühnenspiele, die er sich Angelika zu liebe anschaute. Das Thema der Oper, die heitere Stimmung, der Schlummertrunk in Angelikas Wohnung sowie alles danach hatten sie lange nicht zum Schlafen kommen lassen. Noch einmal war es so wie früher, doch spürte Keller, dass die Beziehung zu Angelika an einem kritischen Punkt angelangt war. Der gestrige Abend war eine seltene Ausnahme, meist lagen sie wegen Kleinigkeiten im Streit. Total verschlafen zog Keller sich schnell seine Boxershorts und einen Bademantel an und stolperte zur Tür, als es gerade noch einmal klingelte.
»Mensch, ich komm ja schon«, fluchte Keller halblaut vor sich hin. Er öffnete die Tür.
»Rosa steht Ihnen gut, Chef. Wirklich.«
Engelchen, Kellers Assistentin Herta Engel, stand breit grinsend vor seiner Tür. In diesem Moment realisierte er, dass er sich in der Eile Angelikas Bademantel gegriffen hatte. Da sie sehr großgewachsen war, konnte er alle ihre nicht taillenbetonten Kleidungsstücke gut tragen. Ihre Wespentaille hatte er leider nicht.
»Engelchen, was wollen Sie heute und so früh hier?«
»Es ist immerhin schon halb zwölf. Und da ich Sie telefonisch nicht erreichen konnte, bin ich gleich vorbeigekommen. Ziehen Sie sich an, wir müssen nach Trendelburg.«
»Nun mal langsam mit den jungen Pferden. Es ist Sonntagmorgen und ich beginne gerade, mein Wochenende zu genießen. Ich bin nicht allein und wir wollen heute Nachmittag noch nach Wilhelmshöhe fahren. Heute Abend haben wir einen Tisch bei Luigi.«
»Pech, Chef, wir haben einen Fall, Befehl von der obersten Heeresleitung. Ich erkläre Ihnen die Einzelheiten im Auto.«
Keller brauchte einige Sekunden, bevor er seine Sprache wiederfand.
»Können Sie bitte im Wagen warten, ich komme in zehn Minuten.«
»Gut, aber nicht länger.«
Nach siebzehn Minuten, die er für eine schnelle Rasur, eine Dusche sowie ein hartes Gefecht mit der morgenmuffligen Angelika benötigte, kam er endlich unten an.
»Wir nehmen lieber meinen Wagen, mir steht gerade nicht der Sinn nach Gokart-Fahren.«
»Gut«, sagte Engelchen beleidigt.
Keller hatte, nachdem sie sich fünf Minuten angeschwiegen hatten, eine seiner alten Kassetten in sein Autoradio geschoben. ›Don’t bring me down‹ vom Electric Light Orchestra brachte die Situation ganz gut auf den Punkt. Keller wusste sofort wieder, warum dieser Titel lange Jahre die ewige Bestenliste der Schlagerrallye von WDR 2 angeführt hatte.
Keller war nicht im Mindesten überrascht, dass Engelchen eine dieser seltenen Gelegenheiten nutzen würde, um auch mal bei einem Einsatz mitzuwirken. Schließlich hatte die ehrgeizige Kriminalassistentin bei der Aufklärung des Windkraftfalls mit ihrem Undercovereinsatz bei den Windkraftgegnern erheblich dazu beigetragen, den Fall schnell aufzulösen. Keller musste damals bei seinem Chef antreten und erhielt ein dickes Lob für seine gute Arbeit. Er war glücklicherweise nicht die Sorte Chef, die die Lorbeeren für seinen Erfolg nicht teilen wollte. Auch Engelchen wurde hinzugerufen, die auf diese Weise ebenfalls eine Belobigung erhielt. Ihr gesteigertes Selbstvertrauen brachte sie an jenem Sonntag dazu, an Kellers Haustür zu klingeln und sich für die bevorstehende Befragung ins Spiel zu bringen.
Keller drehte ›Bobby Brown‹ leiser. Frank Zappa und er wollten endlich erfahren, um was es eigentlich ging.
»Dann schießen Sie mal los, was wollen wir in drei Teufels Namen in Trendelburg?«
Engelchen holte einen Tabletcomputer aus ihrer Tasche.
»Haben Sie jetzt auch so ein Ding? Die sind mir zutiefst suspekt.«
»Ich gehe halt mit der Zeit, Chef. Warten wir noch mal ein halbes Jahr ab, dann haben Sie auch ›so ein Ding‹. Wir sollen übrigens alle ein Tablet bekommen.«
Kellers Laune verschlechterte sich merklich.
»Was ist denn nun los?«, fragte er schon etwas ärgerlich.
»Moment noch, gleich ist er hochgefahren. Karl Steinbach, ein alter Freund unseres Chefs hat einen Erpresserbrief erhalten. Es geht um die Ankündigung eines Sprengstoffanschlags auf den alten Eisenbahntunnel in Deisel.«
»Den, den sie gerade wieder neu eröffnet haben? Davon habe ich neulich in der HNA gelesen.«
»Genau. Steinbach ist Vorsitzender des Vereins ›Initiative Museumsbahn Carlsbahn‹.«
»Wollen diese Leute tatsächlich, dass wieder Züge zwischen Karlshafen und Hümme fahren?«
»Nicht regelmäßig natürlich, da hätten schon die dann vom ÖPNV abgeschnittenen Einwohner aus Langenthal etwas dagegen. Aber sie setzen sich für die Einrichtung einer Museumsbahn ein. Aus diesem Grund hat sein Verein vor einigen Wochen beim Land Hessen den Antrag gestellt, eine Wiederherstellung der alten Carlsbahnstrecke zwischen Hümme und Bad Karlshafen zu prüfen. Jetzt wollten er und seine rund zwanzig Mitstreiter natürlich ordentlich Presse machen, damit ihr Projekt von Erfolg gekrönt wird. Doch kaum wurde die Sache bekannt, wird Steinbach bereits erpresst.«
»Gibt es denn bekennende Gegner einer solchen Museumsbahn?«
»Bislang sind sie uns nicht bekannt, wir sollten Herrn Steinbach aber einmal danach fragen.«
Als sie sich Trendelburg näherten und durch Hümme kamen, fragte Keller Engelchen, wo genau sie eigentlich hin mussten.
»Die Straße heißt ›Schöne Aussicht‹. Ich kenn das noch von früher. Mein Onkel wohnt dort.«
»Vielleicht können wir nach dem Gespräch irgendwo noch etwas essen gehen, ich habe dank Ihres Überfalls heute Morgen ja noch nichts gefrühstückt.«
»Wir können den Landgasthof besuchen – oder auf der Burg …«
Weiter kam sie nicht, da sie Keller darauf aufmerksam machen musste, nicht so schnell zu fahren. Schließlich waren sie gleich da und mussten noch vor der Diemelbrücke abbiegen. Nach weiteren drei Minuten Fahrt hatten sie die ›Casa Steinbach‹ gefunden. Herr Steinbach öffnete ihnen die Tür.
Nun geschah etwas, mit dem Keller auf gar keinen Fall gerechnet hatte: Der Hausherr gab Keller die Hand, seine Assistentin begrüßte er jedoch mehr als freundlich:
»Herta, schön, dass du dich auch mal wieder sehen lässt. Du warst lange nicht mehr hier. Früher bist du immer so gerne zu Onkel und Tante gekommen.«
Nun führte er sie in das terracottafarbene Wohnzimmer. Das Haus war teuer und geschmackvoll im Stil eines italienischen Landhauses eingerichtet.
»Tut mir leid, Onkel Karl. Ich verspreche, mich zu bessern.«
Keller wusste in diesem Moment nicht, was er denken, schon gar nicht, was er sagen sollte. Hatte Engelchen ihn etwa unter einem falschen Vorwand hierher gelockt?
So entschloss er sich, die Sache vorab zu klären.
»Kann ich Sie einmal einen Augenblick unter vier Augen sprechen?«
Er nahm seine Assistentin am Arm und ging mit ihr hinaus in den Flur.
In diesem Moment war ihm auch egal, dass er zunächst Engelchens leichten Widerstand gegen die Entführung spürte und Onkel Karl etwas überrascht aus der Wäsche schaute.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, platzte es sogleich aus ihm heraus.
»Sagen Sie mal, spinnen Sie? Sie holen mich an meinem freien Tag in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett und locken mich in die nordhessische Provinz, nur weil irgend so ein Spinner ihren Onkel erpresst?«
»Ich kann Sie ja verstehen, doch ist Oberstaatsanwalt Herbst tatsächlich ein guter Freund meines Onkels und hat uns hierher geschickt.« Noch bevor er darauf reagieren konnte, ergänzte sie schnell:
»Herbst wollte auch, dass sich die Besten darum kümmern.«
»Jetzt lenken Sie mal nicht mit billigen Komplimenten ab. Eigentlich sind Sie befangen und ich müsste Sie sofort von diesem Fall abziehen.«
»Aber ich sitze doch die ganze Zeit nur im Büro. Sollte das hier schief gehen und Sie brauchen in diesem Fall jemanden für den Außeneinsatz, dann frag ich halt die Anna vom Dezernat 2. Was meinen Sie?«
Keller ergab sich, »Na gut, wir probieren es.«
»Danke schön.«
»Jetzt lassen Sie uns aber mal wieder reingehen und die Befragung beginnen.«
Als sie wieder zurück waren, begann Steinbach von selbst, zu erzählen.
»Diesen Brief haben wir gestern Abend aus dem Briefkasten genommen.«
Keller schaute sich den Brief an, die Buchstaben waren aus der Werbebeilage des hiesigen Supermarktes ausgeschnitten.
»Stoppen Sie Die Carlsbahn, Sonst Macht Es Bumm Und Sie Werden Nicht Lange Freude An Ihrem Schönen Neuen Tunnel Haben!«
»Diesen Brief werden wir zunächst einmal der Spurensicherung übergeben«, sagte Keller, nachdem er sich das Schreiben lange und nachdenklich angeschaut hatte.
»Nun erzählen Sie mal.«
Und Herr Steinbach erzählte – von seiner Leidenschaft für die Eisenbahn, seiner Liebe zur Region und über die ›gute, alte Carlsbahn‹. Doch nach dem Gespräch waren Keller und Engelchen auch nicht viel schlauer. Sie wollten sich gerade von den Steinbachs verabschieden, da griff Ute Steinbach erstmals in das Gespräch ein. Während sich ihr Gatte wie ein italienischer Conte aufführte, hatte sie wie eine brave Nonna auf ihrem Sessel im Atrium gesessen. Sie verfolgte jedoch jedes Detail des Gesprächs, sonst hätte sie jetzt nicht das Wort ergriffen.
»Karli, du hast es mir versprochen.«
Steinbach strich sich die verbliebenen Haare zur Seite. Er wirkte nun zum ersten Mal nicht mehr so souverän und schaute auf den Boden. Er wusste, dass seine Nichte und Keller ihre Augen auf ihn gerichtet hatten.
»Was ist los, Onkel Karl?«
»Wenn Sie es möchten, können Sie zunächst auch mit Ihrer Nichte unter vier oder sechs Augen sprechen, ich ziehe mich gerne so lange in den Garten zurück.«
»Nein, nein, meine Frau hat Recht. Ich habe Ihnen nicht alles erzählt. Lassen Sie mich nochmal eben zur Toilette gehen, dann können wir noch einmal von vorne anfangen.«
Die Spannung im Raum war nun schneidfähig. Vor allem Engelchen machte sich große Sorgen um ihren Lieblingsonkel.
Alle warteten gespannt auf seine Rückkehr. In diesem Bewusstsein kam Karl Steinbach auch mit gebeugtem Haupt wieder in ihre Mitte. An seinem Fernsehsessel angekommen, ließ er sich buchstäblich fallen. Dann begann er zu erzählen.
»Ich habe vor acht Jahren unseren Verein gegründet. Als ehemaliger Eisenbahner kenne ich die Strecke noch aus meiner Dienstzeit als Inspektor bei der Bahndirektion Kassel. Wir mussten nach der Auflösung der Kasseler Direktion Ende 1974 nach Frankfurt ziehen. Dort haben wir auch bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2000 gelebt. Dann haben wir uns hier das nette Häuschen gekauft. Und damit fingen meine Probleme an.«
»Wie meinen Sie das? Werden Sie bereits seit mehr als zehn Jahren bedroht?«
»Nein, das nicht. Obwohl mir mein Nachbar nicht verziehen hat, dass die Stadt mir dieses Haus verkauft hat und nicht ihm. Ihm gehören alle Grundstücke drum herum, nur unseres fehlt ihm noch.«
Seine Frau griff ein.
»Ich kann dein Rumgestotter nicht ertragen. Der Mensch denkt bestimmt, dass Karli nach zwei Herzinfarkten einen solchen Schock nicht überleben würde.«
»Jetzt übertreibst du aber.«
»Und mit mir hätte er dann leichtes Spiel, ich bin ja nur eine wehrlose Frau.«
»Jetzt hör aber auf, mir geht es doch noch gut. Du tust so, als müsste ich heute noch meinen Sarg bestellen.«
Bevor der Ehekrach vollends auszubrechen drohte, ging Keller dazwischen.
»Wir werden uns gerne einmal mit dem Herrn unterhalten, vielleicht hat er ja gesehen, wie Ihnen der Brief in den Briefkasten gesteckt wurde. Wie ist nochmal sein Name?«
»Desenberg, Karlheinz Desenberg. Er ist Unternehmer und hat es mit einer Fabrik für Kunststoffrohre zu Reichtum und Wohlstand gebracht.«
»Gut, das machen wir gleich im Anschluss. Haben Sie uns sonst noch etwas zu erzählen?« Keller fühlte sich wie bei einem seiner Verhöre, da musste er seinem jeweiligen Gegenüber auch immer jedes Wort aus der Nase ziehen.
Unsicher schaute Steinbach auf seine Frau. Diese stand auf, ging zu seinem Sessel und setzte sich auf die Lehne. Als sie ihm den Arm auf die Schulter legte, fand er endlich den Mut, sein letztes Geheimnis zu lüften.
»Ich habe seit Beginn meiner Tätigkeit im Museumsbahnverein Probleme mit Christian Bachmann. Bachmann war selber bei der Bahn und ist auch schon seit Jahren sehr engagiert bei der Sache. Mittlerweile ist er von unseren Mitgliedern zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden.«
In diesem Augenblick stockte seine Rede plötzlich. Erst nach einer Pause, die nicht zu enden schien, fuhr er fort.
»Schon seit Jahren schielt er auf meinen Posten. Er ist trotz seiner Eisenbahnbegeisterung gegen die Museumsbahn Carlsbahn, er möchte lieber in Hümme ein regionales Eisenbahnmuseum eröffnen. Bisher konnte ich mich noch immer mit guten Argumenten durchsetzen, für beide Projekte fehlt uns schlichtweg das Geld. Käme die Erpressung nun ans Licht, könnte ich sicher meinen Lebenstraum einer Wiedereröffnung der Carlsbahn begraben.«
Eine Träne rann über sein Gesicht.
Steinbach blickte zu seiner Frau, Keller meinte die Verzweiflung aus seinen verweinten Augen herauszulesen. Frau Steinbach verstand ihren Mann und stand von ihrem unbequemen Platz auf, um sich vor Keller zu stellen.
»Jetzt lassen Sie mal gut sein«, beendete Frau Steinbach seinen Monolog. »Karli hat sich nun genug angestrengt. Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.«
»Eine Frage noch, dann lassen wir Sie in Ruhe. Wissen Sie, ob Ihr Nachbar zu Hause ist?«, fragte Keller. »Jetzt, wo wir gerade einmal hier sind«, setzte er hinzu.
»Nein«, antwortete Herr Steinbach, »die sitzen jetzt in ihrem Haus in der Provence und denken sich neue Gemeinheiten aus.«
»Gut oder auch nicht gut. Wir werden sowieso noch einmal wiederkommen müssen.«
Nach dem Gespräch mit den Steinbachs hatten sie zunächst im Landgasthof Textor ausgiebig Mittag gegessen, bevor sie sich auf die Rückfahrt machten. Es erklang ›Funky Town‹ aus Kellers Autoradio, als sie gerade das Ortsschild von Grebenstein passierten. Engelchen bewegte ihr linkes Knie zur Musik von Lipps Inc. Trotz ihrer Bewegungen zu Kellers Musik war sie für ihre Verhältnisse sehr still. Sie hatte wieder begonnen, an ihren Fingernägeln zu knabbern. Das hatte sie schon lange Zeit nicht mehr getan. Sicher würde sie zu Hause gleich zum Telefon greifen und wie von Onkel und Tante gewünscht, ihrer Schwester Helga schöne Grüße ausrichten. Vielleicht war es ein Fehler, sie in diesen Fall mitermitteln zu lassen. Keller tauchte immer tiefer in seine trüben Gedanken ein, so dass er in Espenau beinahe in Richtung Warburg abgebogen wäre.
Keller ließ seine Assistentin auf ihren Wunsch hin in Kassel an der Weserspitze hinaus, sie wollte lieber gleich mit der Straßenbahn und dem Bus zu ihrer Schwester nach Simmershausen fahren. Ihr Auto wollte sie dann im Laufe des späten Nachmittags abholen.
»Schönes Wochenende und bis Montag!«
Keller, nun endlich wieder im Wochenendmodus, freute sich auf den Ausflug nach Wilhelmshöhe und das Essen, nun vermutlich am Abend. Als er jedoch in seine Wohnung kam, musste er feststellen, dass Angelika nicht da war. Sie hatte auch keine Nachricht hinterlassen.
Hier muss die Leseprobe leider enden. „Mit der Ferkeltaxe durch das Diemeltal“ ist sowohl einzeln als eBook (epub, mobi) oder als Teil des Sammelbandes „Tatort Märchenland – Kommissar Keller ermittelt“ (als Taschenbuch und als eBook) erhältlich. Weitere Hinweise hierzu erhalten Sie in der Bibliographie.