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Kriminaloberkommissar Ernst Keller wird an einen Tatort tief im Reinhardswald gerufen. Hartmut Sternkens, Inhaber und Geschäftsführer eines Ingenieursbüros für Erneuerbare Energien, wurde tot in einem alten Steinbruch aufgefunden. Die zu dieser Zeit im Ort tobende Diskussion über die Errichtung einer Windparkanlage zieht einen tiefen Graben zwischen Befürworter und Gegner des Projekts. Kommissar Keller beginnt seine Ermittlungen mit einem Besuch beim Kopf der Windkraftgegner.
Leseprobe
Erste Ermittlungen
Das Navi streikte und wollte Keller entgegen der von ihm vermuteten Richtung aus dem Ort hinaus in den Wald schicken. Als er auf der Höhe der Tankstelle war, fragte er eine ältere Dame nach dem Weg.
»Den Dranske suchen Sie? Was wollen Sie denn von dem?«
»Ich bin Gerichtsvollzieher«, schwindelte Keller.
Er ließ hier einfach einmal seinen Vorurteilen freien Lauf, in der Hoffnung, die von ihm gewünschte Information zu bekommen.
Das Gesicht der alten Dame erhellte sich. Er schien ins Schwarze getroffen zu haben.
»Das ist natürlich ganz was anderes«, entgegnete sie.
Keller konnte mutmaßen, was sie gerade dachte.
»Sie müssen die dritte Straße rechts und über die Brücke«, fuhr sie fort. »Dann folgen Sie einfach der Beschilderung ›Ökohof Dranske – zurück zur Natur‹. Die letzten Meter müssen Sie dann über einen schmalen Feldweg mit vielen Schlaglöchern fahren.«
Keller bedankte sich und fuhr los. Hinter der Brücke fuhr er rechts ran und suchte nach seinem Telefon. Als er es nach längerem Suchen und einigen Flüchen endlich gefunden hatte, rief er Engelchen an, die ja inzwischen auch schon im Büro sein musste. Er machte sein Radio leiser. Passend zum Ausflug zum ›Ober-Öko‹ ertönte daraus »Fire on the Water« von Orlando Riva Sound.
»Hallo Engelchen, ausgeschlafen?«
Er wusste, dass das nicht unbedingt die richtige Herangehensweise war, wenn man etwas von jemandem wollte. Außerdem war es Engelchen, die heute Morgen ebenfalls so früh aus dem Bett geklingelt worden war. An einem Tag wie heute war ihm das jedoch ziemlich egal. Außerdem machte er sich gerne und anhaltend darüber lustig, dass Engelchen trotz fester Dienstzeiten immer etwas zu spät ins Präsidium kam. Aber nun war es Viertel nach neun, so dass sie schon bei ihrer zweiten Tasse Kaffee sitzen würde – mindestens.
»Moin Chef, du hast ja heute wieder ein wahrhaft sonniges Gemüt.«
Sie hingegen hatte sich angewöhnt, ihn einfach zu duzen, sollte er ihr blöd kommen – und sie duzte ihn oft.
»Engelchen, sagen Sie mal, haben Sie eigentlich noch irgendwo eine alte Latzhose und ein Batik-T-Shirt? Ich hätte da heute Abend einen Auftrag für Sie.«
Einen Moment schwieg sein Gegenüber am Telefon, dann antwortete sie: »Nein Chef, im Garten trage ich eine alte Jogginghose. Aber ich könnte mal meine Schwester Helga fragen. Außerdem sagten Sie heute Abend. Da habe ich leider keine Zeit, da bin ich bei der Frauengymnastik.«
»Ach kommen Sie, Engelchen, einen Abend ›Bauch, Beine, Po‹ können Sie doch auch gut mal ausfallen lassen. Sie haben das doch gar nicht nötig«, schmeichelte er ihr.
Noch bevor sie antworten konnte, fuhr er fort: »Kuhhandel. Sie gehen heute Abend auf die Bürgerversammlung hier im Ort und hören sich die Diskussion der Hiesigen über ihr Windkraftprojekt an. Als ökologisch interessierte Frau gehen Sie auf Tuchfühlung mit der örtlichen Widerstandsgruppe und versuchen etwas über die Leute in Erfahrung zu bringen. Dafür lade ich Sie kommenden Freitag bei ›Luigi‹ zu einem gemütlichen Candle-Light-Dinner ein.«
Er wusste, dass sie eine Schwäche für italienisches Essen hatte. Doch wusste er auch, dass sie, seitdem sie mit diesem Buchhalter liiert war, sehr vorsichtig in Bezug auf andere Männer geworden war. Keller hatte den Eindruck, dass der Buchhalter wohl sehr eifersüchtig sein musste.
»Und selbst wenn ich heute auf meinen Sport verzichten würde, wie sollte ich mich glaubhaft diesen Leuten nähern, ohne dass sie misstrauisch werden?«
Keller dachte nach. Sie hatte Recht, ganz einfach würde das nicht werden.
»Sagen Sie doch einfach, Sie seien eine Cousine von Soundso aus Dingenskirchen. Bei Ihnen zuhause im nördlichen Niedersachsen hätte man auch die wahnwitzige Idee, die schöne Landschaft durch die Horrortechnologie Windkraft zu schänden. Wenn Sie sich bis heute Abend noch ein bisschen einlesen und eine logische Legende finden, dürfte Ihnen eigentlich nichts passieren. Bei ausreichend Sympathie an der Sache werden die so schnell nichts merken.«
Keller hörte quasi, wie Engelchen am anderen Ende der Leitung nachdachte.
»Ich mache es, aber nur, wenn sich die Einladung auch auf Rüdiger bezieht. Ich wollte Sie ja sowieso einmal miteinander bekannt machen. Das ist doch eine gute Gelegenheit.«
»Außerdem würde dieser dann nicht den eifersüchtigen Liebhaber spielen können«, ging es Keller durch den Kopf. »Cleveres Mädchen.«
»Abgemacht! Ach so, Engelchen, finden Sie doch bitte heraus, wer Martina ist. Sie hat vorhin Bürgermeister Wegmann angerufen. Ihr Name war auch das Letzte, was Hartmut Sternkens, dem Opfer, über die Lippen gekommen ist. Und schauen Sie sich doch bitte auch einmal die Eckdaten des Windparkprojektes an. Die könnten Ihnen heute Abend vielleicht helfen.«
»Wird gemacht«, antwortete Herta Engel und legte auf.
Dranskes Hof lag abgelegen, aber idyllisch am Waldrand und mit Blick auf die Weser. Der Hofherr – ein kräftiger Mittvierziger in Arbeitshose und mit dem obligatorischen Pferdeschwanz – begrüßte den Fremden zunächst freundlich, wurde jedoch misstrauisch, als dieser sich vorstellte.
»Iss klar, wenn so ein arroganter Besserwisser umgebracht wird, muss es der Öko gewesen sein!«, schimpfte er bereits etwas aggressiver.
»Sie sind schon im Bilde?«
»In unserem Dorf spricht sich so etwas schnell rum, selbst bis hier draußen dauert es nicht lange.«
»Kannten Sie den Toten?«
»Natürlich«, antwortete Dranske, »hier kennt jeder jeden. Man hat Ihnen auch sicherlich schon gesagt, dass wir keine guten Freunde waren.«
»Ja, tatsächlich. Aber woher wissen Sie?«
»Langjährige Erfahrung als Mitglied einer sozialen Randgruppe eines ach so biederen Ortes. Sie wollen doch bestimmt wissen, warum ich den Bürgermeister und seinen Amigo Sternkens nicht mag?«
»Ja, im Prinzip schon. Aber lassen Sie sich nicht unterbrechen.«
»Jedes Mal, wenn es galt, in einer Bürgerversammlung ein Projekt zu verteidigen, glänzte der Bürgermeister nicht gerade durch Sachkenntnis. Das Windkraftprojekt konnte er nur mit Sternkens an seiner Seite vorantreiben. Dieser schien ja seiner Wahrnehmung nach der Einzige zu sein, der über fachliche Kenntnisse in der Sache verfügte. Auf jedem Fall gibt – Entschuldigung, gab – er mit seiner oberlehrerhaften Art jedem Fragesteller das Gefühl, dieser sei ein dummer Schuljunge, den man belehren müsse, damit er nicht dumm sterben würde.«
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Hier im Ort gibt es derzeit drei Gruppen: die große Gattung der Unterstützer, uns Gegner sowie natürlich diejenigen, denen alles egal ist.«
»Aber was ich nicht verstehe«, fragte Keller dazwischen, »warum sind Sie als alternativ eingestellter Mensch eigentlich gegen diese Form der Ökoenergie?«
»Das kann ich Ihnen sagen, da gibt es drei gute Gründe. Erstens ist der gewählte Standort erwiesenermaßen ungeeignet für die Windkraft. Zweitens geht es denen nur um Bereicherung und Prestige. Und drittens wäre diese Gegend für eine ordentliche Biogasanlage mit Co-Vergärung sowieso viel besser geeignet.«
»Co-Was?«
»Co-Vergärung ist die gemeinsame Nutzung von Gülle, Mist und häuslichen Bioabfällen in einer Anlage zur Erzeugung von Biogas. Dieses Gas könnte man dann in einem eigenen Blockheizkraftwerk nutzen und so Strom und Wärme erzeugen.«
»Interessant«, entgegnete Keller. »Aber ich möchte noch einmal von Berufswegen auf die Punkte ungeeigneter Standort und Bereicherung zurückkommen. Erzählen Sie mal!«
»Also, das Grundstück gehört dem Wolff – aber noch nicht allzu lange. Zudem munkelt man von einer Veruntreuung bei der Verwendung der Gelder der Pannen- und Bereicherungsgesellschaft. Sie wissen doch, wie so etwas auch laufen kann. Natürlich kann man nichts beweisen, aber ein Blick in die Abrechnungen würde sicherlich interessante Erkenntnisse zu Tage fördern.«
»Darf ich fragen, woher Sie das wissen?«
»Dürfen Sie, aber jeder hat so seine Geheimnisse.«
»Wo waren Sie denn heute in den frühen Morgenstunden? Wenigstens dieses Geheimnis sollten Sie mir verraten.«
»Gerne. Wie jeden Morgen, bei Miranda.«
»Ihre Freundin?«, fragte Keller.
»Nee«, antwortete Dranske mit einem Lächeln, das zeigte, dass Keller nicht der Erste war, der diesem Spaß zum Opfer fiel. »Miranda ist meine beste Kuh und sorgt hier für frische Milch. Möchten Sie vielleicht einen frischen Kuhsaft? Die Milch ist noch ganz warm.«
»Nein danke, ich trinke nur die abgepackte H-Milch aus dem Discounter.«
Dranske verzog bei Kellers Aussage das Gesicht. Ihm war so eine Ignoranz vollkommen unbegreiflich.
»Möchten Sie noch ein Gerücht hören?«, rief Dranske dem bereits zum Auto gewandten Keller zu.
»Gerne, schießen Sie los!«
»Man munkelt hinter vorgehaltener Hand, dass Sternkens dem Projekt die fachliche Gewogenheit entziehen wollte. Wäre doch ´nen gutes Motiv für einige meiner ehrenwerten Mitbürger.«
»Sie scheinen einige Leute hier in der Tat nicht leiden zu können«, entgegnete Keller.
Schweigen.
Keller verließ den Ökohof und fuhr zurück in den Ort. So wie die Sache lag, hatten viele der Menschen hier ein Motiv: Die, die ein Scheitern des Projekts verhindern wollten, ebenso wie die, die gegen die Windkraft waren. Weniger verdächtig waren bislang nur die, die keine eigene Meinung hatten.
Den weiteren Vormittag ging Keller durch die Straßen und sprach unter anderem mit dem Friseur, der Lebensmittelhändlerin, dem Pfarrer und dem Besitzer der Tankstelle. Letzterer überließ ihm einige nützliche Unterlagen. Er gab Keller den von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, vorgeschriebenen Verkaufsprospekt ›Planungs- und Verwaltungsgesellschaft Weserwindpark mbH‹. Außerdem hatte ihm der Tankwart die aktuelle Ausgabe des ›Bürgerbriefs‹ mitgegeben. Der Bürgermeister und seine Compañeros hatten gute Arbeit geleistet, so viel stand fest. Der Ort hatte in diesem Projekt eine Eigenbeteiligung von 25 Prozent zu leisten, bei 3 Millionen Euro Projektsumme für eine 2,5-MW-Anlage waren das 750 000 Euro. Gesellschafter konnten sich jeweils mit einem Anteil von 1 500 Euro beteiligen. Das war für Einwohner dieser strukturschwachen Gegend eine Menge Geld. Geplant war, zunächst diese eine Anlage zu errichten. Zu einem späteren Zeitpunkt sollte dann über eine Erweiterung nachgedacht werden.
»Warum nicht in die eigene Zukunft investieren, die Banken verzocken mein Geld ja eh nur.« Mindestens fünf der Einwohner hatten ihre Beteiligung an dem Projekt so oder so ähnlich begründet.
Keller lächelte bewundernd.
»Der Bürgermeister hatte also auch noch geschickt die finanziellen Ängste seiner Bürgerinnen und Bürger für seine Idee genutzt. Respekt«, murmelte er vor sich hin. Er setzte sich in sein Auto und fuhr etwas zu sportlich an. Er war schon spät dran und er hatte ja noch einige Kilometer zu fahren.
Hier muss die Leseprobe leider enden. „Mordwind“ ist sowohl einzeln als eBook (epub, mobi) oder als Teil des Sammelbandes „Tatort Märchenland – Kommissar Keller ermittelt“ (als Taschenbuch und als eBook) erhältlich. Weitere Hinweise hierzu erhalten Sie in der Bibliographie.
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